«Man braucht kein Einstein zu sein, um das zu verstehen»

Versorgungssicherheit, Klimaschutz, Netzmanagement: Die Herausforderungen waren noch nie so komplex wie heute. Und sie müssen jetzt gelöst werden. Yasmine Calisesi von der ETH Lausanne (EPFL) und Martin Kauert von der BKW sprechen über die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Industrie.

Yasmine Calisesi, das Energy Center der EPFL versteht sich als Hub für die Energiezukunft. Was genau macht ihr?

Yasmine Calisesi: An der EPFL forschen rund 90 Labore zum Thema Energie. Wir vom Energy Center verstehen uns als Schnittstelle zwischen den Forscherinnen und Forschern und der Aussenwelt, also zu Gesellschaft, Politik und Privatwirtschaft. Wir machen Forschungsergebnisse bekannt, vernetzen und bringen die Wissenschaft mit der Energiebranche zusammen. Vor allem geht es uns darum, aus der Forschung einen Mehrwert zu generieren.

Stosst ihr in der Energiewirtschaft damit auf offene Ohren?

Yasmine Calisesi: Ich denke, es ist gerade für Energieunternehmen wichtig, nahe an der Forschung zu bleiben. Und es trägt ja auch Früchte: Neue Ergebnisse oder Methoden fliessen in den Markt hinein, umgekehrt weisen Erfahrungen der Wirtschaft auf Erfolgsfaktoren hin. Der Energiesektor ist auf technologische Fortschritte angewiesen – von der Netzsteuerung und Optimierung über die Materialforschung, etwa bei Photovoltaikzellen, bis zu neuen Speichertechnologien.

Aber wir entwickeln nicht nur Technologien und Algorithmen, sondern auch Konzepte, die für die Energiezukunft wichtig sein könnten, zum Beispiel Finanzierungsmodelle für negative Emissionstechnologien. Wirtschaft und Wissenschaft sind zwei Welten, die sich finden müssen.

Yasmine Calisesi sitzt auf Sofa
Yasmine Calisesi, Executive Director des Energy Center (CEN) an der EPFL. Fotos: Albiana Selmani

Martin Kauert: Die BKW pflegt eine langjährige und sehr gute Zusammenarbeit mit den Schweizer Hochschulen. Es geht dabei meist um die Entwicklung konkreter Lösungsbausteine sowie um die Validierung von Konzepten über Pilot- und Demonstrationsprojekte. Viele Forschungsprojekte an den Hochschulen laufen über mehrere Jahre, im Unternehmen werden jedoch oft schon nach zwölf Monaten konkrete Ergebnisse, sprich EBIT, erwartet. Das stellt uns intern manchmal vor Herausforderungen (lacht). Aber ich sehe das wie Yasmine: Der regelmässige Informations- und Gedankenaustausch mit den Forschungspartnern ist wichtig.

Einerseits kann die BKW ihre Bedürfnisse den Forschungsgruppen mitgeben, andererseits können wir uns aber auch von Erkenntnissen der Hochschulen inspirieren lassen.

«Das Thema Versorgungssicherheit steht absolut im Vordergrund – das wissen wir alle.»
Yasmine Calisesi

Was ist beim Thema Energie derzeit die grösste Herausforderung – und wie lautet eure Antwort darauf?

Yasmine Calisesi: Das Thema Versorgungssicherheit steht absolut im Vordergrund – das wissen wir alle. Die Herausforderung ist, nicht mehr in die Nutzung fossiler Energieträger zu investieren, sondern in Techniken, die erneuerbare Energie in brauchbare Wärme oder Elektrizität umwandeln. Das sind grosse Investitionen, die sich aber über die Jahre dank tieferer Operationskosten rentieren. Bei unserem EnergyScope-Modell kommt heraus, dass die Schweiz bis 2050 theoretisch energieautark und CO2-neutral sein kann und dabei die Gesamtkosten des Systems ein Drittel tiefer liegen als heute.

Martin Kauert: Die grössten Herausforderungen sehe ich in der schnellen Integration der erneuerbaren Energien und der Dekarbonisierung aller Sektoren – insbesondere bei den Gebäuden und der Mobilität, die anteilsmässig den grössten CO2-Abdruck haben. An den Technologien liegt es nicht – die sind grösstenteils erforscht und da. Wir müssen jetzt vor allem die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, damit diese Transformationen auch schnell und pragmatisch im Feld umsetzbar sind.

«Wir müssen jetzt handeln und nach vorne blicken.»
Martin Kauert

Hätte man nicht schon viel früher damit anfangen müssen?

Martin Kauert: Klar, die Fakten sind schon lange auf dem Tisch. Lamentieren bringt aber nichts mehr, wir müssen jetzt handeln und nach vorne blicken.

Yasmine Calisesi: Energetisch gesehen hängt die Schweiz zu 70 Prozent vom Ausland ab. Es ist schon lange klar, dass fossile Energie nicht unendlich ist. Man braucht kein Einstein zu sein, um zu verstehen, dass die Abhängigkeit von Ressourcen, die endlich sind und auf der Erde nicht gleichmässig verteilt vorkommen, keine gute Idee ist: weder für die Menschen noch fürs Klima und am wenigsten fürs Portemonnaie.

Ist in euren Augen eine Entwicklung nur dann innovativ, wenn sie zur Lösung der grossen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit beiträgt, also Klimawandel und Nachhaltigkeit?

Martin Kauert: Diese Metathemen sind bei uns klar übergeordnete Nordsterne bei der Entwicklung von Energielösungen. Aber Innovationen können auch im Kleinen einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung einer Organisation leisten. So zum Beispiel die Verbesserung eines Prozesses, die Optimierung eines Verfahrens oder die Weiterentwicklung einer Arbeitsweise.

Yasmine Calisesi: Dem stimme ich völlig zu. An der EPFL forschen wir an der Optimierung von Mikro- oder Grossturbinen genauso wie etwa an Faktoren, die das Komfortgefühl beeinflussen. Und schliesslich ist eine Invention nur dann eine Innovation, wenn sie wirklich eine Anwendung findet.
 

Martin Kauert sitzt auf Bank
Martin Kauert, Senior Business Development Manager bei der BKW

Was braucht es, damit Innovation stattfinden kann und wo liegen die Herausforderungen?

Martin Kauert: Grössere Innovationen finden heute nicht mehr «im stillen Kämmerlein» statt, sondern meistens in übergeordneten Strukturen und Ökosystemen aus verschiedensten Stakeholdern. Eine zentrale Herausforderung dabei ist, die Orchestrierung der Partner und deren Interessen – und dies end-to-end, also von der Idee bis zur Markteinführung und Skalierung der Lösung.

Yasmine Calisesi: An der EPFL verfolgen wir den Ansatz, dass die Umsetzungspartner von Anfang an in marktnaher Forschung involviert werden müssen. Nur so stellt man sicher, dass die Forschung adäquate Ziele verfolgt. Es gibt aber auch Forschungsfelder, die noch keine direkte Anwendung in die Gesellschaft finden. Das ist aber auch gut so, denn ohne neue Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung würden auch marktreife Innovationen rasch ausbleiben.

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