Warum die Landbevölkerung mehr für die Energiewende bezahlt

Mit der Energiewende droht ein erheblicher Stadt-Land-Graben: Während Städter weniger für den Ausbau des Stromnetzes zahlen, müssen Landbewohnerinnen tiefer in die Taschen greifen. Die aktuelle politische Debatte zeigt, dass der Zubau erneuerbarer Energien von nationalem Interesse ist. Umso wichtiger ist eine faire Verteilung der Zubaukosten. Erfahren Sie im Blog-Artikel die Hintergründe.

Die Energiewende bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. Es geht um Milliarden von Franken und einen grossflächigen Stromnetz-Ausbau. Denn für die zahlreichen neuen Solaranlagen, Wärmepumpen und Elektroauto-Ladestationen, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten gebaut und angeschlossen werden, braucht die Schweiz ein Stromnetz, das diesen Belastungen gewachsen ist. In einer Studie rechnet das Bundesamt für Energie (BFE) mit Ausbaukosten für das Stromnetz von 30 Milliarden Franken. Unter gewissen Annahmen könnte es gar doppelt so viel sein. Für die Haushalte und Firmen bedeutet das: Die Stromrechnungen werden teurer. Im Gegenzug erhält die Schweiz ein nachhaltiges Energiesystem – zum Wohle der kommenden Generationen. 

Die Landbevölkerung trifft es härter als die Städter 

Doch es gibt ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der Kosten für den Netzausbau: Die einen trifft es härter als die anderen, je nachdem in welcher Region der Schweiz sie leben. Es sind vor allem die Landbevölkerung und die Unternehmen in ländlichen Regionen, die den Grossteil der Ausbaukosten bezahlen, während für die Menschen und Unternehmen im urbanen Raum deutlich tiefere Kosten für den Netzausbau zu Buche schlagen. 

Vier Faktoren führen zur ungleichen Kostenverteilung zwischen Stadt und Land

Geringere Anzahl von Anschlüssen pro Kilometer Netz:

Auf dem Land gibt es weniger Anschlüsse pro Kilometer Verteilnetz und die Ausbaukosten können dementsprechend auf weniger Haushalte verteilt werden. In den Städten hingegen wohnen viel mehr Menschen, sodass jeder einzelne weniger bezahlen muss.

Kostenintensiver Netzausbau:

Bauarbeiten auf dem Land sind in der Regel aufwändiger, die Distanzen sind oftmals länger und die Geländebedingungen häufig schwieriger.

Mehr Raum für erneuerbare Energien:

Das Land bietet viel mehr Platz für Solaranlagen und Windräder. Das ist zwar grundsätzlich positiv, aber zusätzliche Anlagen bedeuten auch mehr Ausbaubedarf bei den Netzen und damit höhere Kosten.

Höherer Ausbaubedarf:

Ländliche Netze sind in der Regel weniger gut ausgebaut, weil für die geringere Anzahl Anschlüsse im heutigen Energiesystem geringere Netzkapazitäten nötig waren. Umso höher ist der Ausbaubedarf, wenn schnell viele neue Anlagen Strom einspeisen sollen.

500 Franken Unterschied pro Jahr und Anschluss 

Der «Stadt-Land-Graben» bei der Finanzierung der Energiewende beschäftigt die Öffentlichkeit, so hat denn auch die «Sonntagszeitung» dem Problem im Frühjahr 2023 eine ganze Seite gewidmet. Im Artikel hat die Zeitung vorgerechnet, dass eine 4-köpfige Familie im ländlichen Einzugsgebiet der BKW bis 2050 jährlich etwa 700 Franken mehr bezahlen muss. In der Stadt Bern sind es dagegen nur 200 Franken mehr. Das Ergibt einen Unterschied von 500 Franken pro Familie und Jahr! Bei dieser Berechnung stützte sich der Journalist auf eine Schätzung aus der Kostenstudie des Bundesamtes für Energie. 
 

«Die zunehmende Entsolidarisierung unter den Teilnehmergruppen in der Stromversorgung hemmt die Umsetzung der Energiestrategie 2050 – und zwar vorwiegend auf dem Land.»
Berner Elektrizitätsverband

Das Parlament erhöht die Ungleichheit 

Was macht die Politik? Bisher sorgt das Gesetz dafür, den Stadt-Land-Graben bei den Ausbaukosten des Stromnetzes für die Energiewende zu verkleinern. Wenn eine Netzbetreiberin das Netz ausbauen muss, um eine neue PV-Anlage anzuschliessen, werden die Kosten schweizweit auf alle Netzanschlüsse verteilt. Doch damit soll nun Schluss sein. Geht es nach dem Willen des Nationalrats, soll diese solidarische Finanzierung für die Anschlusskosten von Anlagen mit einer Leistung von bis zu 5 Megawatt nicht mehr gelten. Diese Schwelle betrifft die allermeisten Solaranlagen, die von Privatpersonen und KMUs gebaut werden. Diese «zunehmende Entsolidarisierung unter den Teilnehmergruppen in der Stromversorgung» hemme die Umsetzung der Energiestrategie 2050, «und zwar vorwiegend auf dem Land», schreibt der Berner Elektrizitätsverband im Namen seiner 64 Verteilnetzbetreiber in einem Brief an die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats und Nationalrats. 

Die BKW und die Branche sprechen sich für mehr Solidarität aus 

Auch der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) kritisiert das Vorgehen des Nationalrates: «Die Steigerung der Photovoltaikeinspeisung ins Verteilnetz bedingt in den meisten Fällen Investitionen in die Verstärkung der Netzinfrastruktur», schreibt der VSE in einer Stellungnahme. Mit der künftigen Regelung könnten diese jedoch nicht mehr solidarisiert werden. «In kleinen Netzgebieten könnten die Netzkosten dadurch überproportional steigen, mit entsprechenden lokalen Tarifsteigerungen».

Soll die Energiewende gelingen, müssen insbesondere in ländlichen Regionen mehr Solaranlagen, Wärmepumpen und Ladestationen für Elektrofahrzeuge gebaut werden. Davon profitieren am Ende des Tages die Menschen in der Stadt ebenso wie die Menschen auf dem Land. Die aktuelle politische Debatte und die mediale Berichterstattung zeigen, dass der Zubau erneuerbarer Energien von nationalem Interesse ist. Umso wichtiger ist eine faire Verteilung der damit verbundenen Zubaukosten. 

Sowohl der VSE wie auch die BKW gelangen nun an den Ständerat, den Entscheid des Nationalrats zu korrigieren und die Kosten der Energiewende nicht einseitig auf die Landbevölkerung abzuwälzen. 

Erfolg in der Kommission – Solidarisierung und Pauschalisierung der Netzverstärkungskosten

Seit der ersten Publikation dieses Blogbeitrages hat die Energie- und Umweltkommission des Ständerats (UREK-S) das Thema des Stadt-Land-Grabens aufgenommen – und die Problematik wesentlich entschärft. Gemäss Kommissionsvorschlag sollen alle Kosten von Netzverstärkungen, die für den Anschluss von Anlagen von erneuerbaren Energien nötig sind, schweizweit solidarisch finanziert werden. Die Mindestanlagengrösse von 5 MW, bzw. 150 kW, wurde gestrichen.

Die vorbereitende Kommission schlägt zudem eine Vereinfachung der Finanzierung vor. Für jede an das Niederspannungsnetz angeschlossene PV-Anlage soll Swissgrid einen Pauschalbetrag an den lokalen Netzbetreiber zahlen. Die heutigen Einzelgesuche würden wegfallen. Dies setzt den Anreiz, den Netzausbau vorausschauend dort zu planen und zu bauen, wo in den kommenden Jahren viele PV-Anlagen entstehen werden. Daneben wird der Aufwand für die Netzbetreiber und die Bewilligungsbehörden – also insbesondere die ElCom - massiv reduziert. Ab einer gewissen Anlagengrösse (= Anschluss der Anlage auf Mittelspannung oder höher) erfolgt weiterhin die Prüfung der Anschlusskosten durch die ElCom. Für Anlagen dieser Grösse sind Einzelgesuche angebracht.

Die neue Energiewelt braucht ein angepasstes Stromnetz

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Die BKW hat über 18’000 private Solaranlagen an ihrem Netz. Ohne Anpassungen bei den Netzen kann der Ausbau nicht beschleunigt werden.

Power Grid

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Informationen zum Verteilnetz der BKW Power Grid und den Dienstleistungen für Privat- und Grosskunden: Netzanschluss, Netznutzung, Beleuchtungen oder Netz- und Anlagenbau.

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