Direkt nach seinem Studium an der EPFL in Lausanne ist Urs Amherd 2009 im Kernkraftwerk Mühleberg (KKM) als Pikettingenieur-Anwärter ins Berufsleben gestartet. Anwärter deshalb, weil man verschiedene Stufen durchlaufen muss, bis man Pikettingenieur werden kann. Eine Ausbildung, die länger dauert als ein Studium. Anfangs für den heute 35-jährigen Urs Amherd schwer vorstellbar. Doch schnell wurde ihm bewusst, wie viel es zu lernen gab. Das machte ihm Spass: «Hier gibt es so viele Experten, dass man sich in jedem Bereich vertiefen kann und auf höchstem Niveau Antworten auf Fragen erhält.» Er lernte die Anlage in- und auswendig kennen, war vor Ort in der Anlage und im Kommandoraum, von wo aus alles gesteuert wird. Mit der Zeit kannte Amherd nicht nur alle Systeme, sondern wusste auch, wie sie zusammenspielen. Seit 2015 ist er Pikettingenieur.

Das «gelbe Telefon»

Einer der acht Pikettingenieure muss immer im KKM sein, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Im Schnitt alle zwei Monate verbringt Urs Amherd das Wochenende und die Nächte auf der Anlage. Dann ist er die erste Ansprechperson für die Schicht im Kommandoraum. Er hat dann das «gelbe Telefon» bei sich, auf dem immer der diensthabende Pikettingenieur erreichbar ist. Auch wenn es nicht allzu oft klingelt, schläft Urs Amherd dann etwas weniger tief als normalerweise. Innerlich ist er immer bereit für einen Einsatz.

Ein Schock und neue Herausforderungen

In den gut zehn Jahren, in denen er im KKM tätig ist, hat Urs Amherd manche intensive Phase erlebt. Dazu zählt die Zeit nach dem Reaktorunglück in Fukushima im März 2011. Die Aufsichtsbehörde, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat, forderte damals detaillierte Sicherheitsnachweise vom KKM. Als Plasmaphysiker brachte Urs Amherd hierfür das nötige Rüstzeug mit. So führte er neben seiner Aus- und Weiterbildung zum Pikettingenieur auch Sicherheitsanalysen durch. Schliesslich konnten die nötigen Nachweise für den Weiterbetrieb erbracht werden. Doch dann kam der 30. Oktober 2013: Die BKW beschloss, das KKM nur bis Ende 2019 weiterzubetreiben und anschliessend stillzulegen. Wie die meisten seiner Kollegen war er zuerst geschockt. Insbesondere, da der Entscheid nicht sicherheitstechnisch, sondern wirtschaftlich begründet war. Aber Urs Amherd ist einer, der nach vorne schaut: «Wo sich eine Türe schliesst, geht eine andere auf», sagt er. Bald zeigte sich: Die geplante Stilllegung bringt viele spannende Herausforderungen mit sich.

«Wo sich eine Türe schliesst, geht eine andere auf.»

Die richtige Einstellung

Für die Stilllegung vereint Urs Amherd seine Anlagenkenntnisse als Pikettingenieur mit dem Wissen, das er sich bei den Sicherheitsanalysen angeeignet hat. Als Programmleiter Nach- und Rückbaubetrieb plant er gemeinsam mit vielen Kollegen aus dem KKM die Ausserbetriebnahme nicht mehr benötigter Systeme sowie Anpassungen, respektive Neuinstallationen künftig benötigter Systeme. Er zeigt unter anderem auf, bis wann es welches Sicherheitssystem braucht und wann es ausser Betrieb genommen werden kann. Die detaillierte Planung nimmt viel Zeit in Anspruch. Tausende Komponenten gibt es im KKM und dazwischen unzählige Abhängigkeiten, die berücksichtigt werden müssen. Stets an erster Stelle: Die Sicherheit.

Urs Amherd
Urs Amherd plant in seinem Büro die Ausserbetriebnahme der Systeme.
«Wir wollen zeigen, dass wir das können.»

Ab 2020 geht es an die Umsetzung. Urs Amherd freut sich darauf: «Die BKW hat entschieden, die Stilllegung mit den eigenen Leuten durchzuführen. Wir wollen zeigen, dass wir das können.» Er ist sich bewusst, dass gerade das erste Jahr anspruchsvoll für alle wird. Statt sich wiederholenden Tätigkeiten gilt es nun, einmalige Arbeiten auszuführen. Dafür braucht es einen Wandel in der Einstellung. Urs Amherd hat ihn bereits vollzogen. Er ist bereit. Für eine weitere intensive Phase im KKM.

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