Wenig überraschend sind die Strompreise von der Pandemie nicht unbeeindruckt geblieben, verlor doch das Base Cal 21 in Italien seit dem 20. Februar, als ein sprunghafter Anstieg der Infektionen gemeldet wurde, innerhalb von wenigen Wochen um rund 9 EUR/MWh. Dies macht eine Ratio von 16% auf den ursprünglichen Wert aus. Ähnlich sieht es für den deutschen, französischen und den Schweizer Markt aus. Immerhin: nach solch dramatischen Entwicklungen darf bei genügend Optimismus zumindest die Frage gestellt werden, ob hiermit nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein sollte, oder ob der Weg nach unten noch fortgesetzt werden könnte – und falls ja, bis wohin.
Dies ist natürlich genau die Frage, die derzeit nicht nur uns, sondern jeden Marktanalysten und Ökonomen umtreibt. Wie das Beispiel Chinas vermuten lässt, kann das Virus durch einen kompletten Lockdown der betroffenen Regionen innerhalb von ca. 3 bis 4 Wochen unter Kontrolle gebracht werden – eine Strategie, die seit einigen Wochen mit unterschiedlicher Intensität auch in Europa zur Anwendung kommt. Die direkte Auswirkung solcher Massnahmen auf die Wirtschaft ist offensichtlich, indem für die entsprechende Zeit quasi die gesamte Wertschöpfung des Landes verloren geht. Wie hoch die indirekten Folgen sind, die durch Insolvenzen und Vertrauensverlust begründet sind lässt sich hingegen kaum abschätzen.
Dennoch gibt es beispielsweise seitens der OECD erste Prognosen zur wirtschaftlichen Auswirkung der Corona-Krise mit zwei möglichen Szenarien, von denen das moderate Szenario ein Weltwirtschaftswachstum unterstellt, das um 0.5%-Punkte niedriger ausfällt als die bisherige Annahme von 2.9%. Vor dem Hintergrund der bisherigen Infektionsverläufe scheint allerdings das sog. «Downside-Szenario» umso wahrscheinlicher, für welches die globale Konjunktur in diesem Jahr um ganze 1.5%-Punkte niedriger ausfallen könnte – also eine Halbierung der ursprünglichen Annahme. Für die BKW als Stromversorger stellt sich dann aber auch unmittelbar die Frage, welche Auswirkungen solche makroökonomischen Schocks auf die Elektrizitätsnachfrage und schlussendlich auf die Strompreise haben könnten.
Kurzfristiger oder nachhaltiger Einbruch?
Hierzu lässt sich zunächst auf die Kennzahl der Stromintensität blicken, die das Verhältnis zwischen der regionalen Wirtschaftsleistung und dem entsprechenden Elekrizitätsverbrauch darstellt. Für Deutschland beziffert das Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie diese Grösse mit 0.2 kWh pro Euro. Im Umkehrschluss könnte man von der Hypothese ausgehen, dass ein Wirtschaftseinbruch von z.B. 1 Mrd. EUR ein weniger an Stromverbrauch von 0.2 TWh pro Jahr mit sich bringen würde. Entsprechend der Szenarien der OECD würde die Pandemie dann dazu führen, dass die diesjährige Wirtschaftsleistung der EU für das Downside Szenario um rund 85 Mrd. EUR einbrechen könnte. Bezogen auf die Stromintensität könnte man also von einer geringeren Nachfrage in Höhe von 17 TWh ausgehen – bzw. ein Delta von rund -0.5% auf den absoluten jährlichen Strombedarf der EU.
Unabhängig von der Korrektheit dieser stark vereinfachten Rechnung gilt es bei diesen moderaten Zahlen zu bedenken, dass die OECD bei ihren Prognosen selbst für das Downside Szenario noch immer von einer über das gesamte Jahr wachsenden Weltwirtschaft ausgeht. Mehr und mehr Experten erwarten jedoch, dass die derzeitigen Entwicklungen lediglich den Auftakt zu einer globalen Rezession darstellen, die mindestens die gleichen Ausmasse annehmen dürfte, wie die Bankenkrise in 2008/09 als die Wirtschaft der OECD sogar um 4% schrumpfte und der Strombedarf um rund 7% einbrach. Und tatsächlich zeigen die jüngsten Verbrauchsdaten, dass zumindest für die nächsten Wochen mit weit grösseren Auswirkungen gerechnet werden muss: So haben die Effekte von Kurzarbeit und zeitweiligen Betriebsschliessungen in Italien, Frankreich und Deutschland bereits zu einem Nachfrageeinbruch von 10 bis 20% geführt.
Zusammenfassend sollten wir also von kurz- und langfristigen Bedarfseinbussen zwischen 10 und 20%, bzw. zwischen 0.5 und 7% ausgehen. Indem wir diese Nachfragereduktion als Szenarien in unser Preisprognosemodell einspielen, können wir schliesslich die wahrscheinlichen Markteffekte ableiten:
Es ist ersichtlich, dass wir uns im Zuge der Corona-Krise in den nächsten Wochen und Monaten auf Preise einstellen sollten, die um 20% bis sogar über 40% unter dem im Normalfall üblichen Niveau liegen können. Und auch auf lange Sicht ist ein Preisverfall von bis zu rund 15% nicht auszuschliessen, sofern eine Rezession nicht vermieden werden kann. Lediglich für den Fall einer schnellen Eindämmung der Krise ist mit nachrangigen langfristigen Auswirkungen zu rechnen – allerdings wird diese Hoffnung von Woche zu Woche weniger wahrscheinlich. Um also auf die Initialfrage zurück zu kommen: Ein weiterer Strompreiszerfall kann nicht ausgeschlossen werden.