«Mein Ziel ist es, mich überflüssig zu machen»

26.05.2021 — GLP-Präsident Jürg Grossen präsidiert den Verband der E-Mobilitäts- und bald wohl auch der Solarbranche – zwei Technologien, die sich ergänzen. Die BKW ist sowohl Mitglied von Swiss eMobility als auch Mitglied von Swissolar.

Sie kandidieren am kommenden Donnerstag fürs Präsidium des ­Solarenergie-Branchenverbands Swissolar. Schon jetzt sind Sie «oberster Lobbyist» für E-Mobilität, als Präsident von Swiss eMobility. Wieso dieses Doppelmandat?

Lobbyist? Ich bin vor allem ein Überzeugungstäter. Wir haben hier im Unternehmen vor über zehn Jahren Photovoltaikzellen installiert und Elektroautos gekauft, da ist viel Erfahrung zusammengekommen. Dahinter steckt meine tiefe Überzeugung, dass man Umweltschutz und Wirtschaft unter einen Hut bringen muss.

Heute werden die Wirtschaft und der politische Mainstream immer grüner – auch dank den Grünliberalen. Machen Sie sich so langfristig nicht selbst überflüssig?

(Lacht.) Mein Ziel ist ja gerade, mich überflüssig zu machen! Ich will den jungen Leuten die Chance geben, das Thema zu übernehmen. Aber es ist noch nicht der Fall, es gibt noch viel zu tun.

Die Umwelt- und Energiekommission des Nationalrats will einen rascheren Ausbau der erneuerbaren Energie bis 2030 mit konkreten Ausbauzielen je Energieträger. Die Kom­mission will die von Bundesrätin Sommaruga vorgeschlagene Strom­markt­öffnung für alle mit ihrem Vorschlag auf die lange Bank schieben. Was sagen Sie dazu?

Jürg Grossen
Jürg Grossen in seinem Büro in Frutigen: Am Modell des Projekts Esplanade in Biel erklärt er die Möglichkeiten der Energiesparlösungen vor Ort, wo seine Firma auch mit der BKW zusammenarbeitet.

Das wäre nicht in meinem Sinn. Die Zukunft des Strommarkts liegt in der vollständigen Marktöffnung, wie von Bundesrätin Sommaruga vorgeschlagen. Es sind in der Energiepolitik aber oft auch Zwischenschritte notwendig und richtig, dazu biete ich Hand.

2019 hat SP-Nationalrat Roger Nordmann seinen «Solarplan für die Schweiz» publiziert. Anfang Jahr ­haben Sie Ihre «Roadmap Grossen» vorgestellt. Beides grosse Pläne. Wie viel Planwirtschaft verträgt die Schweizer Energiepolitik?

Meine Roadmap ist es eine Diskussionsgrundlage, in der die Wirtschaft und die Innovation eine zentrale Rolle spielen, keine Planwirtschaft. Die Schweiz hat mit dem Klimaabkommen von Paris die Absicht unterschrieben, zu dekarbonisieren. Das geht nur durch Elektrifizierung, und das führt zur Frage, wie wir diese Elektrizität produzieren und verteilen.

In der Roadmap skizzieren Sie, dass sich die Schweiz nach Abschaltung der Atomkraftwerke 2050 eigenständig und über das ganze Jahr hindurch mit Energie aus ausschliesslich erneuerbaren Quellen versorgt. Realistisch?

Sehr realistisch, das ist ja das Spannende. Darüber hat man jahrzehntelang diskutiert und nicht wirklich daran glauben können. Aber heute sind die notwendigen Technologien da, und sie funktionieren. In unserem Bürogebäude verbrauchen wir gegenüber einem vergleichbaren Haus nur zwanzig Prozent an Strom und dreissig Prozent an Wärme. Seit über zehn Jahren – und mit allem Komfort.

Welche Rolle hätten in dieser ­Energiezukunft Importe?

Ich will kein autarkes Schweizer Stromnetz, unabhängig von jenem im Ausland funktioniert das sowieso nicht versorgungssicher. Es gibt nun mal saisonale und situationsbedingte Spitzen, wo der länderübergreifende Austausch zentral ist. Das zeigt, wie wichtig das Stromabkommen und damit auch das Rahmenabkommen mit der EU ist.

Es steht derzeit schlecht um dieses Rahmenabkommen. Wie würde Ihr Plan B aussehen?

Ich sehe keinen gleichwertigen Plan B.

Wieso nicht?

Der bilaterale Weg ist ein Erfolgsmodell und wir können diesen fortführen und weiterentwickeln, aber nur mit einem institutionellen Rahmen. Sonst kommen wir immer mehr in eine Sackgasse. Es werden jetzt schon Stromleitungen um die Schweiz herum gebaut, um uns auszuweichen, das kann es doch nicht sein. Ein Scheitern des Rahmenabkommens wäre auch komplett unschweizerisch: Wir haben als Land vier Sprachen und zahlreiche Kulturen vereinigt. Ausgerechnet wir schaffen es nicht, mit unseren direkten Nachbarn eine Lösung zu finden?

Die «Roadmap Elektromobilität» des Bundesrats wollte den Anteil von Elektrofahrzeugen an den Neuzulassungen von Personenwagen bis 2022 auf 15 Prozent anheben. Ist es sinnvoll, weitere Ziele zu setzen?

Ja, wir haben diese Quote bereits erreicht. Es laufen momentan Gespräche über neue Ziele: Es geht in Richtung 40 oder 50 Prozent bis 2025.

2020 war ein Rekordjahr für die Elektromobilität in der Schweiz…

Das laufende Jahr wird auch ein Rekordjahr. Es gibt wohl vorderhand nur Rekordjahre (lacht). Für die Energiezukunft bedeutet E-Mobilität eine massiv geringere Abhängigkeit von teilweise weder liberalen noch demokratischen Staaten, welche uns heute Unmengen Öl liefern. Es bedeutet auch mehr Stromverbrauch.

Damit werden integrierte Lösungen wichtiger. Wie bringt man smarte Gebäude und smartes Laden der Autos in Einklang?

Man muss zuerst einmal erkennen, dass es eine Notwendigkeit ist, Produktion und Verbrauch zu harmonisieren. Photovoltaik produziert Energie, wenn die Sonne scheint, also am Tag. Deshalb müssen Boiler, Wärmepumpen und Autos auch tagsüber geladen werden – letztere auch am Arbeitsplatz. Die Digitalisierung hilft uns, solche Vorgänge abwickeln zu können.

Jürg Grossen tankt sein Elektroauto
Energie übers Dach, Strom aus der Ladestation: Die Lösung bei der Garage der Firma Elektroplan Buchs & Grossen AG.

Wie entwickelt sich der Markt für solche Energiegesamtlösungen, wie sie Ihr Unternehmen oder auch die BKW anbieten?

Der Markt wird sich positiv entwickeln, Energie bleibt ein zentraler Faktor. Ich glaube in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass wir uns als Schweiz wieder mal ein Ziel setzen und diese Chance packen müssten. Als wir einst die Eisenbahn elektrifizierten, sorgte dies sehr direkt für einen Aufschwung der Wasserkraft mit ihren Speicherseen. Es entstanden Jobs für Generationen und die Schweiz nahm international eine Pionierrolle ein. Damals hatten wir den Mut, grosse Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche mir diesen Mut heute auch.

Dieses Interview erschien am 23. Mai 2021 im «SonntagsBlick».

2020 war ein Rekordjahr für die Elektromobilität: Die Anzahl Neuverkäufe von Elektroautos hat sich gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Die BKW bietet die entsprechenden integrierten E-Mobilitäts-Lösungen an sowie erneuerbare Energie- und Wärmelösungen für Gebäude. Erfahren Sie mehr zum Engagement der BKW unter: www.smart-mobility.ch

 

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