Als der Flughafen Berlin Brandenburg im Oktober 2020 nach 14-jähriger Bauzeit endlich eröffnet wurde, war er längst zum Sinnbild eines ausser Kontrolle geratenen staatlichen Grossprojekts geworden. Insgesamt siebenmal musste die Fertigstellung aufgrund fehlerhafter Planung, ungenügender Bauaufsicht und technischer Mängel verschoben werden. Auch andere öffentliche Bauprojekte in Deutschland hatten in der Vergangenheit mit Verschiebungen, Mehrkosten und medialer Häme zu kämpfen. 

Die Reaktion der deutschen Behörden blieb nicht aus: Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat einen «Stufenplan für Digitales Planen und Bauen» verabschiedet – und kommt darin zum Schluss, dass beim Bauen «digitale Methoden wie Building Information Modeling (BIM) grosse Vorteile mit sich bringen». Seit letztem Jahr gilt die Empfehlung, jedes öffentliche Bauprojekt in Deutschland mit der BIM-Methode umzusetzen.

BIM unterstützt das Vorstellungsvermögen
Kurz darauf wurde die Planung einer Bahnstromleitung zwischen Muttenz (BS) und Haltingen vergeben. Den Zuschlag für das erste BIM-Pilotprojekt für Freileitungen der DB Energie ging an BKW Infra Services Europa SE für den deutschen Teil sowie an BKW Engineering für den Schweizer Teil – und damit an die BKW Gruppe, die einen grossen Erfahrungsschatz mit der BIM-Methode hat.
 

Beispielsweise beim Rückbau des Kernkraftwerks in Mühleberg (BE): Mit den oft nicht mehr aktuellen Papierplänen aus den Baujahren in den 1960er-Jahren wären die bautechnischen Planungsarbeiten für den Rückbau aufwändig und fehleranfällig. Deshalb nutzt die BKW einen digitalen Zwilling, also ein 3D-Modell, das die Baustruktur und -daten des gesamten Kraftwerksareals digital darstellt. Eva Hörtnagl arbeitet in der Abteilung Bautechnik am Rückbau mit und nutzt die Vorteile des digitalen Zwillings tagtäglich. «Die stets aktuellen Bauwerksdaten aus dem Modell erlauben uns laufende Tragwerksanalysen mit minimalem Zeitaufwand. Auch unterstützt die 3D-Planung das Vorstellungsvermögen, was das Finden von Lösungen enorm vereinfacht», sagt die 33-jährige Bauingenieurin. Zudem werde nach jeder noch so kleinen Anpassung im Modell sämtlicher Output automatisch nachgeführt, so dass für alle am Rückbau Beteiligten eine aktuelle «Source of Truth» zur Verfügung steht.

3D-Modell in den Lärm der Baustelle bringen
Im Gegensatz zu vielen anderen Bauingenieuren arbeitet Eva Hörtnagl durchgehend digital: «Ich bin 2008 direkt von der Ausbildung mit der BIM-Methode ins Berufsleben eingestiegen und seither mit Herzblut dabei.» Deshalb sei sie wohl auch bei der BKW gelandet, dem Konzern, der die Anwendung der BIM-Methode auf die nächste Stufe heben will. Konkret heisst dies: Die BKW will ihre Bauprojekte vollständig durchdigitalisieren; denn heute gibt es vielfach eine digitale Lücke zwischen der Planung, der Fertigung und dem Unterhalt – viel zu oft wird auf den Baustellen noch mit zweidimensionalen Papierplänen gearbeitet.

Um die digitale Lücke zu schliessen, ist aus dem Innovation Center von BKW Engineering heraus das BIM+ Competence Center entstanden. «Hier wollen wir die BIM-Methode neu denken», sagt Reto Grolimund, der Leiter des Zentrums. Das Ziel sei es, die Planungsbüros mit Bauunternehmen oder Facility-Managern zusammenbringen – und ihnen alle Möglichkeiten der BIM-Technologie zu illustrieren.

Bild von der Bauingenieurin Eva Hörtnagl
Eva Hörtnagl; Bauingenieurin bei der BKW.

Know-how in allen Phasen der Baukunst
Grolimund ist überzeugt, dass der BKW «die Überwindung des sequenziellen Denkens beim Bauprozess» gelingen kann. Denn im Netzwerk lässt sich ein komplettes BIM-Ökosystem in der Realwirtschaft studieren. Die BKW Gruppe vereint Kraftwerksbetreiber mit ausführenden Unternehmen aus dem Netz und Leitungsbau; sie umfasst Planungsbüros und Gebäudetechniker oder Installateure.

Innerhalb ihres umfangreichen Netzwerks, das aus über 130 Unternehmen in mehreren Ländern besteht, kann die BKW die Planungsbüros mit den Betreibern zusammenbringen. «Das BIM+ Competence Center bietet einen guten Rahmen für einen Wissenstransfer zwischen den Fachdisziplinen», betont Reto Grolimund. In diesem Rahmen könnten die Planerinnen den Betreibern und den ausführenden Unternehmen alle Möglichkeiten der BIM-Technologie aufzeigen. Und diese wiederum könnten zurückmelden, mit welchen Möglichkeiten der BIM-Methode auf den Baustellen tatsächlich ein Effizienzgewinn erzielt werden kann. «Durch diesen Kurzschluss im ganzen Lebenszyklus eines Bauwerks richten wir uns zukunftsweisend aus», sagt Grolimund, «so können wir benennen, welcher Teil des Planungsaufwands mit der BIM-Methode am Schluss noch einen Wert hat für diejenigen, die eigentlich nur am Bauwerk interessiert sind.»

Das Know-how der BKW zu allen Lebenszyklusphasen fliesst in die BIM-Modelle, die dann dem Kunden zur Verfügung stehen. Der Prozess zur Erstellung dieser Modelle besitzt auch auf dem Markt einen Wert, so dass neben der BKW die ganze Baubranche vom BIM+ Competence Center profitieren kann. «Wir können den idealen Prozess zur Zusammenarbeit an einem gemeinsamen BIM-Modell, von der Planung, über den Bau, den Betrieb bis zum Rückbau inhouse untersuchen», sagt Reto Grolimund. Dabei entsteht täglich neues Wissen, das dabei hilft, die Lücke zwischen der digitalen Planung und der digitalen Fertigung zu überwinden.

Bild von Reto Grolimund, Leiter des BIM+ Competence Center der BKW
Reto Grolimund, Leiter BIM+ Competence Center BKW.

«Baubranche befindet sich an digitalem Wendepunkt»

Harald Kloft, Bauingenieur und strategischer Berater, über den Zusammenhang zwischen BIM und Nachhaltigkeit.

Die Weltbevölkerung wächst in den nächsten Dekaden weiter. Reichen die Ressourcen zum Bauen aus? 
Harald Kloft: Die Techniken, die nach wie vor auf den meisten Baustellen im Einsatz sind, wurden vor mehr als 100 Jahren erfunden. Mit der Systemschalung benötigen wir viel mehr Beton, als nötig wäre. Wenn das so weiter geht, haben wir irgendwann ein Ressourcenproblem.


Kann die Digitalisierung helfen, dass wir beim Bauen dereinst weniger Ressourcen brauchen?
Die Baubranche befindet sich an einem digitalen Wendepunkt. Mit der Digitalisierung haben wir die Möglichkeit, einen nachhaltigen Weg einzuschlagen. Wir werden zwar nicht umhinkommen, auch künftig mit Beton zu bauen – wir können und müssen aber mit weniger Beton bauen.


Wie soll das konkret vonstattengehen?
Ein im 3D-Druckverfahren gebautes Haus benötigt 50 bis 60 Prozent weniger Beton. Zurzeit passiert viel in der Forschung und es werden weitere digitale Fertigungsmethoden entwickelt. 


Wie können diese neuen Baumethoden zum «State of the Art» werden?
Für den Durchbruch des 3D-Drucks und der robotischen Fertigung ist es unabdingbar, dass digitale Methoden, zum Beispiel BIM, entlang der ganzen Wertschöpfungskette in der Baubranche zum Standard werden. Entscheidend dafür ist die Schnittstelle zwischen der digitalen Planung und der digitalen Fertigung. Um diese Schnittstelle zu lösen, müssen sowohl die Architekten als auch die Baumeister eine neue Denkweise an den Tag legen: Planerinnen und Planer müssten neue Designs und Formen entwickeln und die Bedürfnisse auf den Baustellen viel früher mit einbeziehen. Und die Baumeister sollten irgendwann bereit sein, sich von Papierplänen zu verabschieden – und auch mal ausprobieren, wie sich eine Hololens anfühlt.

 

Zur Person: Harald Kloft, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Bauingenieur, ist Professor und Leiter des Instituts für Tragwerksentwurf an der Technischen Universität Braunschweig. Er hat das BIM+ Competence Center gemeinsam mit Michael Schüepp, CEO BKW Engineering, ins Leben gerufen – und begleitet dessen Entwicklung nun als strategischer Berater.
 

Bild von Interviewpartner Harald Kloft.
Harald Kloft, Bauingenieur und strategischer Berater.