Viele Tierarten in der Schweiz stehen vor existenziellen Herausforderungen. «Durch Landwirtschaft, Überbauungen und die Trockenlegung von Gewässern verschwindet der Lebensraum vieler Tiere», erklärt Umweltingenieurin Anne Klauser vom Planungsunternehmen b+s Ingenieure und Planer AG. Nicht nur die Lebensräume selbst werden weniger - auch die Vernetzungen dazwischen sind oft nicht mehr intakt. «Gerade für Tiere, die nur kleine Distanzen zurücklegen können, wie etwa Schlangen oder Molche, sind diese Vernetzungen für die Fortpflanzung essenziell», betont Klauser.
Die Schweizer Biodiversität steht unter Druck
Der Verlust von Lebensräumen und Biodiversität hat nicht nur für Tiere weitreichende Folgen, sondern auch für Menschen. Für Trinkwasser, Nahrung und saubere Luft sind wir auf funktionierende Ökosysteme angewiesen. Wird die Natur zerstört, gefährdet das langfristig auch unsere Lebensgrundlagen.
Zum Erhalt der Biodiversität in der Schweiz verfolgt der Bund deshalb die Vision einer landesweiten ökologischen Infrastruktur. Ziel ist es, natürliche Lebensräume zu erhalten bzw. wiederherzustellen, aufzuwerten und zu vernetzen. Dafür ergreift der Bund verschiedene Massnahmen, wie die Sanierung bestehender Schutzgebiete oder nachhaltige Raumplanungskonzepte.
Vision «Perlenkette»: Lebensräume im Önztal vernetzen
Auch das Önztal im Oberaargau soll besser vernetzt werden. Der Verein ARGE Önztal, der sich schon seit vielen Jahren für die Förderung und den Erhalt der Natur im Önztal engagiert, hat dafür die Vision «Perlenkette» ins Leben gerufen. Im Tal gibt es dank bestehender Schutzgebiete und verschiedenen Aufwertungsprojekten bereits einige ökologisch wertvolle Lebensräume, sogenannte «Perlen». Um die bestehenden Perlen besser zu vernetzen, sollen dazwischen neue Perlen geschaffen werden. So soll vom Burgäschisee bis zur Aare, mit der Önz als verbindendes Element, ein stetig wachsendes Netzwerk von Lebensräumen, eine «Perlenkette», entstehen.
Denn auch im Önztal sind die Konsequenzen fehlender ökologischer Infrastrukturen spürbar. «Im Tal existieren zwar einzelne wichtige Lebensraum-Strukturen, wie die Feuchtgebiete beim Burgäschisee oder die aufgewertete Mündung der Önz in die Aare, doch fehlt die Vernetzung zwischen diesen isolierten Strukturen und die Populationen sind sehr klein», erklärt Anne Klauser.
Eine «Perle» entsteht: Die Biblismatte in Niederönz
Eine neue Perle ist durch die Unterstützung des BKW Ökofonds in der Biblismatte bei Niederönz entstanden. Die im Frühling 2024 fertiggestellte Biblismatte soll dank einer Vielzahl an Feuchtflächen und Trockenhänge regional seltenen und gefährdeten Tier- und Pflanzenarten ein Zuhause bieten. «Mit der Biblismatte wird nicht nur die Vermetzung und der genetische Austausch einzelner Populationen gefördert, sodern auch das langfristige Überleben von Arten», sagt Anne Klauser, die das Projekt zusammen mit ihrem Kollegen Thomas Hertach, Zoocanta, realisiert hat. Die gefährdeten Wildbienen finden in den Sandgruben ideale Nistplätze, Asthaufen bieten Lebensraum für Mauswiesel, Hermelin und andere Säugetiere. Drei Weiher, unterschiedlich tief und kalt, sollen beispielsweise Geburtshelfer- und Kreuzkröten anlocken, während Grashaufen den gefährdeten Ringelnattern als Brutplatz dienen. «Wir haben hier das volle Potenzial des Gebiets ausgeschöpft – dies auch dank der Offenheit des Besitzers des Gebietes», unterstreicht Anne Klauser.
Nach den ersten Monaten, in denen die neu gestaltete Biblismatte wachsen und gedeihen konnte, zieht Anne Klauser eine positive Zwischenbilanz. «Es haben sich bereits einige seltene Pflanzenarten angesiedelt, auch Eisvogel und Wasserfrösche konnte ich schon beobachten». Ringelnattern, Sumpfschrecken und Erdkröten brauchen jedoch noch etwas Zeit, um die Biblismatte zu erreichen. Umso wichtiger sind die anderen Perlen im Önztal, die die Lebewesen auf ihrem Weg unterstützen. Grosse Freude bereiten Anne Klauser die Entwicklungen in der Sandgrube: Zahlreiche Wildbienen haben in kleinen Höhlen ihre Nistplätze eingerichtet. Die gefährdeten Insekten scheinen in der Biblismatte ein passendes und dringend benötigtes Zuhause gefunden zu haben.