25 Jahre lang, von 1993 bis 2018, stritten Behörden und Anwohner über die Frage, ob zwischen Hinterkappelen und der Wohleibrücke ein öffentlicher Weg dem Wohlenseeufer entlangführen dürfe. Ein Wegstück von 1,2 Kilometer Länge. Achtmal schneller ging es, in Mühleberg ein Kraftwerk zu bauen und die Aare auf einer Länge von 12 Kilometer in einen Stausee zu verwandeln.

Im Dezember 1917 erhielten die BKW die Konzession dazu, am 23. August 1920 war das Werk fertig. Ein öffentliches Mitwirkungsverfahren? Oder gar eine Volksabstimmung? Unnötig. Der damalige Direktor der BKW, Oberst Eduard Will, orientierte am 20. Mai 1917 an einer Versammlung in der Wirtschaft Tschannen in Wohlen über das Projekt.

Zwei Jahre Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen

Nach dem damaligen Protokoll soll die Versammlung gut besucht gewesen sein – abgestimmt wurde indessen nicht. Stattdessen schlugen die Landvermesser der BKW Pflöcke ein. So konnten die Bauern der Gemeinden Wohlen und Frauenkappelen sehen, bis wohin das Wasser steigen werde und ob ihr Heimwesen vom neuen See betroffen sein würde. Falls ja – erhielten sie einen Franken Entschädigung pro Quadratmeter und zwei Jahre Zeit, sich eine neue Bleibe zu suchen. Rund 20 Bauern verloren so ihr Heimwesen und dazu versanken rund 250 Hektaren Ackerland im neuen See.

Die Sorgen, mit denen die Menschen damals kämpften

Es ist aus heutiger Sicht unglaublich, dass die Bauern dies einfach so hinnahmen. Aber in Europa tobte der 1. Weltkrieg, bei uns herrschte oft bittere Armut und die Spanische Grippe forderte tausende von Menschenleben. Das waren die Sorgen, mit denen die Menschen damals zu kämpfen hatten.

Dafür faszinierten die neuen Möglichkeiten der elektrischen Energie. Eine neue Zeit brach an, und die forderte eben auch grosse Opfer. Der Berner Schriftsteller Rudolf von Tavel beschrieb in seinem Buch «Von grosser Arbeit» diesen Aufbruch in die neue Zeit – ein Werk, das dieser Tage vom Weber Verlag zum hundertjährigen Jubiläum des Wohlensees neu aufgelegt worden ist.

Die Russen haben mitgebaut

Bemerkenswert ist einiges an der Baugeschichte des Wasserkraftwerks Mühleberg. So wurde für den Materialtransport zwischen dem Bahnhof Gümmenen und der Baustelle eine elektrisch betriebene Trolleybuslinie für LKWs eingerichtet. Das wäre sogar heute ein innovatives Projekt!

Am Bau arbeiteten bis zu 1000 Arbeiter, darunter auch rund 60 Russen, die sich nach der Oktoberrevolution 1917 in die Schweiz abgesetzt hatten. Die Bauleitung lag in den Händen von Gabriel Narutowicz. Der im heutigen Litauen geborene ETH-Professor sprach auch fliessend russisch, was den Umgang mit den russischen Arbeitern wesentlich erleichterte. Als das Werk vollendet war, berief ihn die polnische Regierung zu ihrem Staatspräsidenten. Ein Amt, das er allerdings nur fünf Tage lang innehatte. Dann wurde er von einem nationalistischen Fanatiker ermordet.

Die Hechte waren wohlgenährt, aber ungeniessbar

In den ersten 50 Jahren seines Bestehens erfreute der Stausee zwar die Augen – aber weniger die Nasen. Bis zum Bau der ARA Neubrück 1967 flossen die Abwässer der Stadt Bern mit der Aare in den Wohlensee, wo sie sich ablagerten. Die Hechte sollen zwar meterlang und wohlgenährt gewesen sein – aber nach heutigen Standards wäre von einem Verzehr wohl abzuraten gewesen. In den Siebzigerjahren verbesserte sich die Wasserqualität zusehends und zuriechends.

Chillen, rudern oder wandern

Heute ist der Wohlensee eines der attraktivsten Naherholungsgebiete der Stadt Bern. Naturliebhaber preisen den See als Brutgebiet zahlreicher Vogelarten. Ruderer und Stand Up Paddler schätzen das ruhige Wasser, und schliesslich ist er ein beliebtes Ziel für alle, die am See wandern oder ganz einfach chillen wollen. Wie schreibt doch Stadtpräsident Alec von Graffenried in seinem Geleitwort zum neuen Wohlenseebuch: «Am Wohlensee, da ist es uns wohl!»

Der Bau des Wohlensees

Das neue Buch zum Geburtstag des Wohlensees

Aussergewöhnlich, dass ein See Geburtstag feiert! Doch beim Wohlensee ist es so: Am 23. August 2020 wird er genau hundertjährig. Das Buch Wohlensee erzählt, wie seinerzeit mit dem Kraftwerk in Mühleberg die Aare gestaut wurde und rund zwanzig Bauernhöfe im See versunken sind. Eindrückliche Bilder aus allen vier Jahreszeiten zeigen die Gegenwart des Wohlensees als beliebtes Naherholungsgebiet und naturbelassenen Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten. Ausserdem erzählen zwölf Anwohner Geschichten, die selbst Einheimische nie gehört haben.

Autor: Hans Markus Tschirren
Erscheinungstermin: August 2020
Werd Weber Verlag AG
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