Kahle Landschaft, Steine, Schnee, Eis, Matsch. So oder ähnlich stellt man sich die Oberfläche des Monds vor. Doch wir befinden uns nicht auf dem Mond, sondern im Steinbruch Tscharner der Vigier Ciment in Péry im Berner Jura. Und entsprechend fahren hier keine Raumfahrzeuge, sondern tonnenschwere Muldenkipper. Sieben sogenannte Dumper schlängeln sich über die matschigen Strassen. Doch halt! Einer dieser sieben Dumper ist ein eDumper. Das «e» steht für elektrisch. Er ist das grösste und stärkste batteriebetriebene Elektro-Radfahrzeug der Welt und spart 50’000 Liter Diesel pro Jahr.

Spritztour mit dem Luchs

Wir strecken den Daumen raus und machen eDumper-Stopp. Der Fahrer – er ist einer von vier Männern, die den eDumper fahren dürfen – nimmt uns auf eine kurze Tour mit. Jetzt, wo der Muldenkipper in voller Grösse vor einem steht, erkennt man die Dimensionen. Die riesigen Räder mit den ebenso riesigen Schneeketten machen Eindruck. Wie hoch der Führerstand ist, merken wir beim Erklimmen des grünen Ungetüms. Neun Stufen – dann befinden wir uns im Herzstück des Lynx – zu Deutsch: Luchs. So heisst der eDumper.

Es geht bergauf. 58 Tonnen bewegen sich gemächlich, Motorenlärm und Abgase gibt es nicht. Dafür viele leuchtende Anzeigen auf einem kleinen Monitor, darunter der Batteriestand. Auf diesem Monitor sieht der Fahrer auch, wie sein Lastwagen mit Kalk- und Mergelsteinen beladen wird. Nur wenige Sekunden dauert dieser Vorgang und dann gehts auf die Talfahrt mit einem Gesamtgewicht von mehr als 100 Tonnen. Der Clou: Während des Rauffahrens verbraucht der eDumper Energie, wenn er vollbeladen runterfährt, lädt sich die Batterie dank Rekuperation wieder auf.

Ladestation von ISP

«Ciment Vigier und die BKW haben eine langjährige Partnerschaft in verschiedenen Bereichen, so liefern wir dem Unternehmen zum Beispiel Strom», erklärt Xaver Bouvard, Key Account Manager bei der BKW. Beim eDumper realisierte die ISP Electro Solutions AG, eine Tochterfirma der BKW, die Lade- und Entladeinfrastruktur.

Von einer guten Zusammenarbeit mit der BKW berichtet auch Bernard Kernen. Er ist Chef von 20 Männern im Steinbruch Tscharner. Die Männer bauen mit schwerem Gerät täglich ab 6.30 Uhr morgens bis spät am Abend bis zu 5000 Tonnen Kalk- und Mergelsteine ab. Zum Thema eDumper sagt er: «Wir haben das Fahrzeug voll in unser System integriert. Es kommt genau gleich wie die anderen sechs konventionellen dieselbetriebenen Dumper zum Einsatz.» Das Fahrverhalten sei etwas anders als bei normalen Muldenkippern, der eDumper reagiere sensibler. Entsprechend müssten die Fahrer die zahlreichen Messgeräte konstant im Auge behalten. «Die Batterie darf zum Beispiel nicht wärmer als 36 Grad Celsius sein, sonst nimmt ihre Lebensdauer ab», sagt Bernard Kernen. «Und sowohl beim rauf-, wie auch beim runterfahren, muss man stets die Geschwindigkeit im Auge behalten.»

Xaver Bouvard (Key Account Manager bei der BKW, links) und Bernard Kernen (Steinbruch Tscharner).
Xaver Bouvard (Key Account Manager bei der BKW, links) und Bernard Kernen (Steinbruch Tscharner).

Lynx ist ein Medienstar

Der eDumper ist bereits seit bald einem Jahr im Berner Jura im Einsatz. Beim Start im April 2019 war das Medieninteresse gross. Ob «Spiegel» in Deutschland, «CNN International», «Business Insider» oder die Sendung «Top Gear» der «BBC», aber auch Schweizer Zeitungen wie der «Bund» oder der «Blick»: All diese Medien und noch viel mehr berichteten über den «grünen Koloss» («Bund»). Der eDumper hat sich in seinem ersten Lebensjahr zu einem veritablen Medienstar gemausert.

«Dumper sind dreckige Bestien», schrieb zum Beispiel «Top Gear», «nicht nur, weil sie ihr Leben damit verbringen, in dreckigen Steinbrüchen herumzuschleudern, sondern weil sie von gigantischen Dieselmotoren angetrieben werden.» Und dann weiter über den eDumper: «Dieser fantastische Lastwagen ist hier, um den letzten Punkt zu ändern. Weil er elektrisch ist.»

Die Batterie ist so stark wie die Akkus von sieben Teslas

Wie mächtig die Batterien des elektrischen Muldenkippers sind, zeigen einige Zahlen eindrücklich: Im eDumper wurde die grösste je für ein Elektrofahrzeug hergestellte Batterie eingebaut. Sie ist mit 4,5 Tonnen so schwer wie zwei komplette PKW. Und sie können insgesamt 600 Kilowattstunden Strom speichern, so viel wie die Akkus in sieben Teslas des teuersten Typs. Über zehn Jahre soll der Lastwagen, für dessen Herstellung ein gebrauchter Diesel-Muldenkipper umgerüstet wurde, rund 300’000 Tonnen Gestein abtransportieren und damit 1300 Tonnen CO2 und eine halbe Million Liter Diesel einsparen.

Entwickelt haben den umweltfreundlichen Laster verschiedene Industriepartner zusammen mit der Berner Fachhochschule BFH, der NTB Interstaatliche Hochschule für Technik Buchs und der Empa.

Nicht nur die Konzeption des eDumpers der eMining AG geschah in der Schweiz, auch die schliesslich verbauten Komponenten stammen zum Teil von schweizerischen mittelständischen Unternehmen. Der eigentliche Umbau erfolgte bei der Kuhn Schweiz AG in Lommis (TG) und Heimberg (BE). Sowohl der Synchron-Antriebsmotor (Oswald Motoren GmbH), Getriebe (Puls Getriebe GmbH), Batterien (Lithium Storage GmbH) und Inverter (Aradex AG) sind allesamt Spezialanfertigungen auf der Basis industrieller Produkte der neuesten Generation. Sie wurden im Herbst 2017 in das leere Chassis des Komatsu HD 605-7 eingebaut. Die Hydropumpen für Lamellen-Bremsanlage, Kippantrieb, Servounterstützung, Vorspannung der Hilfsbremsanlage werden von einem weiteren Elektromotor mit 200 kW Leistung aus dem Berner Oberland (Brienzer Motoren AG) angetrieben. Der 600kWh grosse Stromspeicher, bestehend aus 4 Blöcken, findet seinen Platz im Motorenraum und anstelle des Dieseltankes. Gefördert wird das Projekt vom Bundesamt für Energie (BFE).