Die Schweizer «Energiestrategie 2050» setzt ein klares Signal zum Ausbau der erneuerbaren Energien: Bis 2050 soll die Energieversorgung zu 100 Prozent erneuerbar sein. Ist dies realistisch? Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen?
Margarita Aleksieva: Die Ziele der Energiestrategie 2050 sind ambitioniert, aber immer noch machbar. Derzeit hinkt die Schweiz ihren Nachbarländern hinterher, was die Gewinnung von Wind- und Solarenergie wie auch den Ausbau der Anlagen für erneuerbare Energien insgesamt betrifft. Ein anschauliches Beispiel für die Herausforderungen, vor denen wir in der Schweiz aktuell stehen, ist der von uns seit 2008 geplante Windpark Tramelan im Berner Jura. Mit einer installierten Gesamtleistung von 12 Megawatt sollen die sechs Windkraftanlagen dort jährlich circa 26 Gigawattstunden erneuerbaren Strom produzieren. Das entspricht einem Jahresstromverbrauch von etwa 6000 Haushalten.
Das Projekt hat sich allerdings in die Länge gezogen.
Ja, das kann man so sagen. Es hat insgesamt 15 Jahre gedauert, bis wir hier nach einem sehr langwierigen, komplexen Genehmigungsverfahren per Bundesgerichtsentscheid grünes Licht für den Bau bekommen haben.
Eine Rolle spielten auch Beschwerden, die dann am Ende vom Gericht zurückgewiesen wurden.
Es kam dadurch zu langen Verzögerungen. Dabei haben wir eigentlich keine Zeit zu verlieren. Aus meiner Sicht ist der Übergang zu einem nachhaltigeren Energiesystem letztlich nicht nur eine technische oder wirtschaftliche, sondern auch eine soziale und politische Herausforderung. Mit einer Vereinfachung und Standardisierung des Genehmigungsprozesses und transparenteren Richtlinien liesse sich der Zeit- und Kostenaufwand für Projekte rund um die erneuerbaren Energien erheblich reduzieren. Aus meiner Sicht können sehr klar geregelte Energiemärkte mit der nötigen politischen und regulatorischen Unterstützung ein starkes Signal aussenden – nicht nur an Investoren, Entwickler und Versorgungsunternehmen, sondern auch an die Bevölkerung. Wenn deutlich wird, wie sehr sich die Regierung für erneuerbare Energien engagiert, wird es leichter fallen, die Ziele für 2050 zu erreichen.
Sie sprechen bewusst auch die Bevölkerung an.
Ja. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung eine Sache ist, für die alle in der Verantwortung stehen: Privatpersonen, Gemeinden, Regierungen und die Industrie. Erforderlich ist die Bereitschaft, an einem Strang zu ziehen und Kompromisse zu schliessen. Wenn alle Akteure zusammenarbeiten, bin ich zuversichtlich, dass wir die hochgesteckten Ziele bis 2050 noch erreichen können.
Geschieht seitens der Politik genug, um den Transformationsprozess zu beschleunigen?
Ich denke, wir haben derzeit ein gutes Momentum. So hat der Bund beschlossen, bis Ende 2025 den Bau alpiner Photovoltaikanlagen und damit insbesondere die inländische Winterstromproduktion zu fördern. Dadurch soll die Schweiz im Winterhalbjahr unabhängiger werden von Stromimporten aus dem Ausland und gleichzeitig die Energiewende beschleunigt werden. Jetzt geht es an die Umsetzung.
Können Sie ein paar Fakten nennen, die verdeutlichen, wo die Schweiz derzeit steht?
Nehmen wir zum Beispiel die Windenergie: Landesweit sind bei uns aktuell 41 Windturbinen in Betrieb. Sie produzieren pro Jahr insgesamt rund 0,15 Terawattstunden Strom. Das entspricht einem Prozentsatz von 0,3 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs in der Schweiz.
Das ist fast nichts.
Das kann man so sagen. Gemäss der Energiestrategie 2050 des Bundes müsste die Windenergieproduktion 4,3 Terawattstunden erreichen und rund 7 Prozent des Stromverbrauchs liefern. Zum Vergleich: EU-weit betrug der Anteil der Windenergie am Stromverbrauch zuletzt rund 17 Prozent (Quelle 2022). Spitzenreiter ist Dänemark mit 55 Prozent. In Deutschland liegt der Anteil bei etwas mehr als 22 Prozent.
Weht in der Schweiz nicht genug Wind? Oder was ist der Grund für das schlechte Abschneiden?
Es liegt nicht am Wind. Tatsächlich hat die Schweiz ein sehr gutes Windpotenzial, die Verhältnisse sind eigentlich ideal für die Energieproduktion aus Windkraft. Laut einer neuen Studie des Bundesamts für Energie liegt das Potenzial bei rund 30 Terawattstunden pro Jahr. Wenn wir nur etwa 30 Prozent dieses Potenzials tatsächlich nutzen könnten, kämen wir immer noch auf neun Terawattstunden pro Jahr. Sechs Terawattstunden entfielen davon auf das Winterhalbjahr von Oktober bis März. Wenn wir das auf die Zahl an Windturbinen umrechnen, ist es nicht unrealistisch, zu sagen: 100 Windturbinen auf dem letzten Stand der Technik erzeugen 1 Terawattstunde Strom im Jahr. Das würde ausreichen, um den Stromverbrauch der Stadt Bern zu decken.
Das heisst, für die umsetzbaren neun Terawattstunden müssten noch jede Menge Windturbinen gebaut werden?
Ja, das ist so. Wir gehen von bis zu 1000 Turbinen aus, die wir dafür benötigen würden. Ungefähr 300 bis 400 dieser Turbinen können in den Alpen installiert werden.
Das werden aber viele Leute nicht wollen, aus Gründen des Naturschutzes oder der Ästhetik im Landschaftsbild.
Genau das ist die Herausforderung. Wenn wir letztendlich auf nachhaltige Energie umsteigen wollen, um die Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu verringern, und die Energie preisgünstig sein soll, dann müssen wir Kompromisse eingehen und akzeptieren, dass wir nicht nur von der Infrastruktur leben können, die unsere Vorfahren hier aufgebaut haben. Ich sage gerne, dass es keine Technologie gibt, die alle Herausforderungen gleichzeitig löst. Wir müssen das akzeptieren. Sinnvoll ist aber sicher ein Strommix aus unterschiedlichen erneuerbaren Energiequellen.
Damit kommen wir auch auf die Solarenergie zu sprechen. Gibt es in der Schweiz überhaupt genügend Sonnenschein, um damit erfolgreich zu sein?
Auch bei der Solarenergie verfügen wir über ein grosses Potenzial, vor allem in der Alpenregion. Die Sonneneinstrahlung ist in 2000 Metern Höhe intensiv. Ausserdem können wir hier den Effekt nutzen, dass die Sonne durch den Schnee reflektiert und durch die kühlere Luft ein höherer Wirkungsgrad der Solarmodule erreicht wird. Das führt dazu, dass der Anteil vom Winterstrom einer alpinen Solaranlage auf circa 50 Prozent der Gesamtproduktion ansteigt.
Welche Pläne verfolgt die BKW im Bereich der Solarenergie?
Wir treiben den Ausbau der Solarenergie umfassend voran: Nach dem bereits lancierten Vorhaben «BelpmoosSolar», einer Freiflächen-Solaranlage am Regionalflughafen Bern-Belp, haben wir im Kanton Bern auch verschiedene alpine Solarprojekte, darunter Adelboden Schwandfäl, MontSol (Saint Imier) und Schattenhalb Tschingel Ost und Tschingel West, gestartet. Alle geplanten Anlagen sind Teil des «SolarExpress»-Programms, mit dem der Bund bis Ende 2025 den Bau alpiner Photovoltaikanlagen fördert.
Welche Rolle spielen bei der Auswahl der Solarprojekte, abgesehen von der technischen Machbarkeit, die Umweltbelange?
Wir versuchen, die berechtigten Klima- und Umweltschutzinteressen soweit wie möglich zu berücksichtigen und setzen dabei auf den Dialog mit allen Beteiligten, um gemeinsame, tragfähige Lösungen zu finden.
Wie gross sind die geplanten alpinen Photovoltaikprojekte?
Verglichen mit üblichen Photovoltaikanlagen im Ausland, sind sie eher klein. Die geplanten alpinen Photovoltaikanlagen verfügen über eine durchschnittliche installierte Leistung von acht bis zwölf Megawatt und produzieren voraussichtlich zehn bis zwölf Gigawattstunden pro Jahr.
Auch im Rahmen der Initiative «Lebensräume 2025» will die BKW einen Beitrag zum Erreichen der Energieziele des Bundes leisten. Ins Leben gerufen wurde etwa ein «Atelier» zum Thema «Alpiner Lebensraum». Worum geht es dabei?
Mit dem Atelier bieten wir eine Plattform für Dialog und Erfahrungsaustausch – und eine «Lösungsschmiede». Unsere Kernfrage lautet: Wie kann die Infrastruktur in den Alpenregionen optimiert und erweitert werden, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und gleichzeitig den Lebensraum zu schützen? Damit dies möglich ist, müssen anhand einer ganzheitlichen Betrachtung aller Interessen und in enger Zusammenarbeit mit allen Akteurinnen und Akteuren zeitnahe Lösungsansätze erarbeitet werden – mit dem Ziel, diesen einzigartigen Lebens- und Wirtschaftsraum langfristig zu erhalten. Dafür bietet das Atelier genau das notwendige Gefäss.